Haim Schneider
Haim Schneider wurde 1921 in Wien geboren, besuchte dort die Volks- und Hauptschule und begann 1936 Maschinenbau zu studieren. Der "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich setzte seinen Plänen ein jähes Ende. Haim und sein jüngerer Bruder konnten Wien gerade noch verlassen - Haim mit der 'Jugend-Aliya' ins damalige Palästina, sein Bruder mit dem 'Kindertransport' nach England -, die Eltern überlebten die Shoa nicht.
Fünf Jahre diente Haim in der Britischen Armee im Kampf gegen Hitlerdeutschland. 1945 bis zu seinem Tod 2017 wohnte er in Jerusalem. Er war Mitglied der international bekannten Jerusalemer Künstler- und Dichtergruppe „LYRIS“.
Da wir kein Buch von Haim Schneider veröffentlicht haben, hier einer seiner größten Texte:
Überschritten
Wir sind die Überschrittenen,
ohne Zeichen am Türpfosten
vom blinden Engel Überschrittenen,
unverdient und Bessren vorgezogen, ausgelesen
zum Überleben.
Wir sind die wahren hohlen Männer,
die Söhne von Vätern und Müttern
die sie auslöschten, wie lästige Kerzen auslöschten,
denen kein eigener Tod gegeben ward,
kein Grab und, Rainer Maria, keine Grabschrift.
Wir sind die Entgleisten, aus eigner Bahn geworfenen,
die nur aus Massenträgheit weiterrutschten.
Die Männer, die in vitro leben,
mit müden, dorrenden Synapsen,
Vergangenheit mit Zukunft nicht verbindend.
Wir sind die lallenden Männer,
nicht mächtig mehr der alten, eignen Sprache
und ohnmächtig bis heute in der neuen,
die wie in Übersetzung leben,
in einer manchmal bessren, meistens schlechtren,
Doch nie authentisch.
Nie in der eignen Haut, die lang schon abgefallen.
Der Schlangen Haut ist stets die ihrige,
wo unsrige nicht sitzt, so wie ein schlecht geschnittner Anzug,
der sich verzieht bei jeglicher Bewegung.
Wer sagt denn „Death shall have no domination“?
Der Würgeengel, den Bauch noch voll von gestern,
plant schon den nächsten, nein, den letzten Akt,
auf breiterer, globaler Bühne.
Diesmal wird keiner
überschritten.