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Blogbeiträge (12)
- Marianne ist gegangen
Sie war eine meiner Mitautorinnen und wurde eine wunderbare Freundin. Marianne Degginger, geb. Unger, starb am Mittwoch, 15. März, im Alter von 90 Jahren in ihrem Haus in St. Gallen, Schweiz. Bis zuletzt wach, informiert, beteiligt und engagiert, auf Reisen, bei Diskussionen, als Zeitzeugin. Klug und emphatisch, immer lernbereit, mit einem klaren, realistischen Blick auf die Dinge. Ohne Aufhebens um sich selbst, konzentriert und zugewandt, wollte und konnte sie den Menschen nahe sein. Und konnte verbunden bleiben mit jüdischer Tradition und Gemeinde. Als 1932 in Berlin geborene "Halbjüdin" aufzuwachsen: das prägte Marianne für immer. Vieles, was damit zusammenhängt ist u.a. im Buch "Marianne. Eine wahre Geschichte" beschrieben. Aber für Marianne hörten die Fragen nie auf. Details ihrer Erfahrung und deren Folgen beschäftigten sie immer. Einer der letzten Fragen, die sie an mich richtete, lautete: "Gibt es Texte, die beschreiben, wie die Shoah eng befreundete Familien psychisch so deformierten", daß sie sich, beispielsweise durch (exilbedingte) Entfernung, einander gänzlich entfremdeten? Zu Thema der Shoa-Langzeitfolgen sollte in den nächsten Wochen ein Beitrag hier bei rainStein erscheinen, mit Mariannes Fragen und Antworten. Nun müssen andere antworten. Mariannes Buch ist vielleicht das am stärksten "verteidigte" und vernetzte Buch bei rainStein. Marianne war mit dem Buch viel unterwegs, auch wir beide zusammen haben es in Schulen und vor breiterem Publikum zur Diskussion gestellt. Schulen als Ort der Zeugenschaft waren spürbar ein besonderes Anliegen von Marianne. War es doch ihre eigene Kindheit, die durch die nationalsozialistische Herrschaft zerrissen wurde. Und ihr Buch zeichnet all die fundamentalen Brüche und feinen Schattierungen sachlich wie emotional mit einer Authentizität, die es nur von Zeitzeugen her gibt. Das einte uns: Wir müssen erinnern, beschreiben, faßbar machen. Was bleibt uns sonst, um den Opfern gerecht zu werden? - um Wiederkehr zu verhindern? Marianne, danke, daß Du mit uns warst. Du warst so menschlich, so präsent. Deine Wärme und ermutigende Anteilnahme wird uns weiter begleiten, wir werden sie erinnern und weitertragen!
- Schmerz erzählen
Für Yvonne Livay war es immer da. Für mich begann es an einem Freitagabend, Februar 2011, in der Wohnung von Yvonne und Ram Livay. Dort, in Jerusalem, am feierlich gedeckten Tisch, erfuhr ich, welch bedrängende Rolle eine kleine graue Schachtel im Leben der Mutter und in ihrem, Yvonnes eigenen Leben, spielte. Daß sie, Yvonne, noch nicht gewagt hatte, die gehütete Box zu öffnen. Das aber müsse geschehen, es würde schwer werden. Und dann gebe es noch jene andere Geschichte, die des Malers, rätselhaft und doch verbunden, fast wie ein Schlüssel, der einem entgegenkommt… Meine Anteilnahme wurde zur Aufregung: Dies zu erzählen! Wäre das möglich? Genau dies - falls es geschieht - : das Öffnen, das Begreifen, und vor allem der Prozeß, der der Begegnung mit den Dokumenten folgen würde…und ja, auch die Beschreibung des inneren Zusammenhangs zwischen Schachtel und dem, was geschah, als der Maler ins Leben der Mutter trat! Falls sich der vermutete Zusammenhang bewahrheiten würde, natürlich. Würde er? Ein anderes Jahr, ein anderes Land: Yvonne sitzt in einem norddeutschen Künstlerdorf und versucht, Worte zu finden. Der Sturm im Innern ist sichtlich groß. Gerade ist es durch Glück gelungen, von einem Künstler-Nachbarn erste Übersetzungen der Briefe zu bekommen - jener Briefe, die die Schachtel endlich, nach Jahrzehnten, verlassen hatten. Wir hatten darüber geredet. Nun aber war es Tatsache und vor Augen. Nun wußte Yvonne, was geschrieben stand. Was berichtet wurde. Was die Mutter als junge Frau hatte lesen müssen. Was betäubend in ihr aller Leben getreten war. Nie werde ich die innere Bewegung, die Yvonne in diesen Stunden erfaßt hatte, vergessen. Im Ausdruck ihrer Bewegtheit sprach sie mehr zu mir, als wenn sie schon Worte gefunden hätte. Aus ungeheurer innerer Anstrengung entstand das Buch: "Die Frau mit der Lotosblume". Es legt Zeugnis ab, es spiegel wider, es nimmt mit auf eine dokumentarische, menschliche, künstlerische Reise. Diese Reise können wir als Leser nachvollziehen. Auf vielen Ebenen wird uns die Botschaft erreichen: Wunden, Schmerzen, Qual -- und ein Kampf. Ein Kampf, in dem, für Yvonne, am Ende das Leben siegt.
- Klänge aus Jerusalem
Unten donnert die neue Autobahn durch ein einst stilles Tal nach Jerusalem. Oben liegt hell der Campus der Hebräischen Universität, die Gebäude von Musikhochschule und Akademie für Musik und Tanz. Gegenüber, abwärts in den Hang gebaut, existiert ebenfalls ein Refugium für Kunst: das Wohnhaus der Familie Livay. Sich auszusagen in Musik und Bild, in gehauenem Stein und geschriebenem Wort ist hier, innen wie außen, Alltag. Yvonne Livay, Sängerin, Malerin, Dichterin, sucht Inspiration im Unterwegssein: Auf den Straßen und Plätzen der Stadt, am Ufer der Meere, in den Weiten der Wüste. Indem sie hinausgeht, geht sie in sich hinein. Schon im Park nebenan, an den Hängen des Tals findet sie, was ihr zu existentieller Frage, manchmal zu gültiger Antwort wird. Diese übersetzt sie in Farben und Formen, die wie Musik wirken - präzise und unbestimmt zugleich, in aller Skizzenhaftigkeit vor Emotion sprühend – und uns berührend wie Musik . Musik, die ihr erklingt, bringt sie hingegen ins Wort. Yvonne Livay ist eine Lebenssammlerin. Sie benutzt Material und Sprache, die sie unterwegs aufliest. Das Zufällige und Veränderbare bearbeitet sie mit Fragen nach dem Eigentlichen und scheut dabei nicht das Verharren in Zwischenschichten. So entsteht aus Allem ein gut erkennbarer, nur ihr gehörender Ausdruck, ein bannendes, fragendes Schwebenlassen. Dem muß man sich aussetzen: Was auch immer sie aufnimmt, erhält bei Livay eine unerhört dichte Diktion. Gewiß, persönliche Erinnerung und Last der Geschichte breiten im Leben der Künstlerin unaufhörlich Schleier aus. Verwoben mit Alltagsleben erstrecken sich Traum und Albtraum in diesem Haus über dem Tal in alle Gegenwart: überall Masken, verhangene Totenmasken, Gesichter der lang Verlorenen und Vermißten, ein tägliches, inniges Requiem, das Yvonne Livay den Ermordeten darbringt. Und im Atelier liegt Schwere über dem mühsamen Arbeiten mit sperrigen Fundstücken, rostigem Draht, den Yvonne Livay im Kampf, dem Entsetzen Grenzen zu setzen, zu Kronen, Lebenskronen, Dornenkronen biegt und windet. An diesem Ort wird um Leben gerungen. Und Leben aus Schatten herausgehauen, in dichteste Form gebracht. Dabei durchzüngelt heftige Sehnsucht nach Liebe und Leichtigkeit die Texte und Bilder. In knappesten Strukturen, kargen Chiffren legt Yvonne Livay Gefühle bloß. Folgt man der Spur, unternimmt man womöglich eine dramatische Reise ins eigene Ich. Yvonne Livay wurde 1942 in Zürich als Tochter jüdischer Eltern geboren. Ihre polnisch-jüdische Mutter, gerettet, sah im Höllenbrand deutscher Vernichtung machtlos Mutter und Familie, fast ihr ganzes Volk verlorengehen. - Yvonne Livay hat als Erwachsene in Jerusalem Zuflucht und Zuhause gefunden. Viele Sprachen sprechend, dichtet sie dennoch fast ausschließlich auf deutsch. Viele Jahre war sie Mitglied der deutschsprachigen Jerusalemer Dichtergruppe LYRIS. (Vorwort zu „Herbstbrand“, 2011/ z.Z. vergriffen/ Voranfragen möglich)
Andere Seiten (27)
- Marianne Degginger
Marianne Degginger Marianne Unger, verh. Degginger, geboren 1932 in Berlin, gest. 2023 in St. Gallen, Mutter zweier Töchter, überlebte als Kind einer jüdischen Mutter die Nazizeit in Deutschland. Ein Großteil ihrer jüdischen Verwandten ließ damals alles zurück und floh, – andere Verwandte wurden ermordet. Nach 1945 erfuhr ihre Familie Verfolgung in der DDR. Die Familie ging 1951 in den Westteil Deutschlands, Marianne bald darauf in die Schweiz, wo sie noch heute lebt. Marianne Degginger schrieb die Erinnerungskapitel „Schwieriges Überleben“ (Konstanz 2008). Daraus entstand das rainStein-Buch, ein in Tagebuchform verfaßter Zeitzeugenbericht mit vielen Dokumenten.
- LYRIS | Rainstein De
LYRIS Die deutschsprachige Künstlergruppe aus Jerusalem. Etwa dreißig Jahre, bis 2017, traf sich der Dichterkreis LYRIS in Jerusalem, lange unter Leitung von Dr. Eva Avi-Yonah. Alle Mitglieder hatten die Shoa überlebt und Zuflucht in Israel gefunden. Ihnen gemeinsam: Sie nutzten weiter ihre deutsche Heimatsprache, um Innerstes auszudrücken. Über LYRIS LYRIS versammelte deutschsprachige Dichter aus Wien, Berlin, der Bukowina und aus Zürich. Viele verstanden sich gleichzeitig als professionelle Musiker, Maler, Bildhauer. Die Kraft ihrer Worte, Skulpturen und Gemälde offenbart: Diese Künstler setzen Kreativität als Mittel emotionalen Überlebens ein. Warum dann aber ausgerechnet deutschsprachig dichten? Zwar: Sie entgingen der Vernichtung durch Deutsche, seitdem konnten sie bei uns nicht mehr sein. Doch die deutsche Sprache blieb ihnen, trotz allem, Muttersprache. Das Problem: Als „Seelensprache“ sprachen sie sie lange in einen Raum ohne Echo. Wir meinen: sie könnten als Dichter bei uns Heimat gewinnen, wenn wir sie hören. Es ist nicht zu spät. Wir können ihnen Echo geben. rainStein hat sich dieser Aufgabe gestellt. Als kleiner unabhängiger Verlag geben wir die Werke einzelner LYRIS-Mitglieder in Deutschland heraus. Sie als Leser können helfen. Die Cover der LYRIS-Reihe sind übrigens durchweg mit bildnerischen Werken der LYRIS-Künstler gestaltet, bei Yvonne Livay werden ihre Werke zudem umfangreich in den Büchern selbst präsentiert. Der rainStein-Verlag hat die inzwischen achtbändige LYRIS-Reihe 2007 gestartet. Bekanntgemacht haben wir die Gruppe durch die mit den Klezmerschicksen gestaltete Konzert-Lese-Filmreihe „Winde über Jerusalem“. Wir haben die Künstler und ihre Werke nach Deutschland geholt, Ausstellungen und Events organisiert, die Entstehung von neuen Werken begleitet. 2017 wurde die LYRIS-Gruppe (und ihre monatlichen Zusammenkünfte in Jerusalem) vom letzten Mitglied, Yvonne Livay, eingestellt. Noch zu Lebzeiten aber erfuhren die Dichter, dass Deutsche da sind, ihnen zuzuhören und zu antworten. LYRIS bei rainStein Dr. Eva Avi-Yonah Langjährige LYRIS-Gastgeberin Manfred Winkler Nationalpreisträger für Lyrik Dr. Magali Zibaso PEN-Mitglied Yvonne Livay Gastgebrin von LYRIS Haim Schneider Dichter Dr. Wilhelm Bruners Vorwortgeber LYRIS-Werke (Auswahl)
- Erinnerungskultur | Rainstein
rainStein Der Verlag