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rainStein

Warum sich die Sprache nehmen lassen?

Aktualisiert: 28. Juni 2023


Unter dem Titel „Warum sollten sie sich die Sprache wegnehmen lassen“ veröffentlichte der Berliner Publizist Markus Bauer jüngst in der FAZ einen ausführlichen Artikel über LYRIS. Über jene Künstlergruppe aus Jerusalem, die auch in der neuen israelischen Heimat, trotz erlittener Verfolgung durch Deutsche, an der deutschen Heimatsprache festhielt, in ihr dichtete und diskutierte.


Sprache ist kostbar, Heimatsprache nicht ersetzbar. Und egal, aus welchem Grund man das Heimatland verläßt oder verlassen muß, wie sehr man auch in eine neue Sprache einzutauchen vermag – die erste Sprache verläßt einen nie. Es gibt Dinge, solche des Empfindens und Erleidens, die nur so, wie man es als Kind lernte, überhaupt auszudrücken sind. Daher ist es kein Zufall, daß es eben die gemeinsame Sprache war, die die Überlebenden aus der Bukowina, Österreich, Deutschland und der Schweiz mitten in Israel, ihrem Zufluchtsland, zusammenführte. Es war ein Wagnis und nicht selbstverständlich, weil von deutschen Wortklängen tiefer Schmerz ausging. Dieselbe Sprache aber war es, die hier nun jedem der Vereinzelten Gefährten gab, die die je eigene Wortsuche wirklich verstanden.

Darin lag auch der tiefste Sinn des gemeinsamen Tisches, auf dem die Blätter mit den Gedichten sich schließlich fanden. Eine gemeinsame Schöpfung. Eine verbindende Sprache inmitten eines neuen, anders sprechenden, anders dichtenden, anders lesenden Landes. Ihres Landes.

Und obwohl die Dichtungen also naturgemäß zunächst nur in diesem Kreis selbst unmittelbar verstanden werden konnten, fanden sie doch ihren Weg von dort nach und nach zu einzelnen Veröffentlichungen, insbesondere in Deutschland.


Wir haben schon an anderer Stelle mehrfach beschrieben, wie auch rainStein begann, sich an diesem Hineintragen der LYRIS-Schöpfungen in die deutschsprechende Welt zu beteiligen und wie daraus in einem guten Jahrzehnt eine achtbändige Reihe wurde.

Nur folgerichtig also, daß Markus Bauer in seinem Beitrag zum „Literarischen Leben“ die Arbeit von rainStein würdigt. Es sind die Bücher von Yvonne Livay, von Eva Avi-Yonah, von Magali Zibaso – die Schilderungen und Vorworte von Manfred Winkler, dem Genius, und Wilhelm Bruners, dem Priester, durch die wir fast meinen, mit in dem magischen Kreis zu sitzen. Dort, wo die deutsche Sprache in ihrer Wurzel und Ursprünglichkeit nicht nur erinnert und geschätzt, sondern wie ein frischer Quell wachgehalten und erneuert wurde: Deutsche Dichtung der Spitzenklasse entstand. Sie entstand mitten in Jerusalem, lange unbemerkt von denen, die sich in Deutschland mit Sprache und Dichtung befaßten.


Wie einzigartig und vielseitig der LYRISkreis wirkte, zeigt Markus Bauer jetzt der breiteren Öffentlichkeit. In seinem Bericht finden sich auch für Kenner neue Details. Und er weist (wie wir an unseren traditionellen rainStein- LYRIS-Abenden mit den Klezmerschicksen) auf den so gut gemachten Dokumentarfilm „Klang der Worte“ (Gerhard Schick, 2008) hin. Wenn man mehr braucht als Worte, um zu verstehen - hier hat man es, alles.


Von li: Magali Zibaso, Eva Avi-Jonah, Yvonne Livay 2011 in Jerusalem. Foto: Dörthe Kähler

Die „LYRIS“ gibt es nicht mehr. Seit einigen Jahren ist Yvonne Livay die letzte noch lebende Vertreterin dieser großartigen deutschsprachigen Dichtergruppe.


Ja, sie ist noch da! Sie kann man noch fragen. Und zu Lesungen einladen.


Markus Bauer „Warum sollten sie sich die Sprache wegnehmen lassen? Wie der Lyris-Kreis das Erbe der deutschen Dichtung in Israel bewahrt hat.“ FAZ, 01.4.23, S. 16


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